Netzwerk Kultur will in der Innenstadt präsent sein
Die Innenstadt neu zu erfinden heißt: Vielfalt gestalten
Stadtverwaltung und Akteure des Stadtmarketings orientieren sich gerne an der Idee, dass gut situierte Reutlinger mit dem Einkaufskorb auf den Markt gehen (nachdem sie günstig geparkt haben) und sich bei inhabergeführten Geschäften mit Kleidung und Konsumartikeln eindecken. Diese Zielgruppe wird jedoch immer kleiner und auch nicht wieder wachsen.
Realität ist, dass in Reutlingen Menschen aus 40 Herkunftsländern leben, Tendenz steigend. Sie alle nutzen die Innenstadt und haben dementsprechend vielfältige Bedürfnisse.
Manche lagern gerne auf Flächen in größeren Gruppen (Bürgerpark und Tübinger Tor), manche gründen Unternehmen (ja, Barbershops und Nagelstudios, Gemüseläden, Dönerläden). Das ist zu respektieren, auch wenn es nicht allen gefällt – sie füllen immerhin Leerstände. Manche ziehen in Gruppen durch die Innenstadt und sind laut, teilweise aggressiv. Kinder und Familien jeglicher Kultur suchen anregende Spielplätze mit Aufenthaltsqualität, Ältere konsumzwangfreie Sitzplätze mit ein wenig Grün, Unterhaltung und Anregung – oft vergeblich. Für Jugendliche ist seit Jahren eine Spraywand gewünscht und die Möglichkeit, sich im öffentlichen Raum an einem Ort zu treffen. Sehr viele Menschen wünschen sich zentral gelegenen Wohnraum.
Die Pflasterpiste Wilhelmstraße mit liebloser Möblierung trifft die Bedürfnisse längst nicht mehr, unabhängig von Online-Handel-Rückgängen. Eine Chance für die Zukunft besteht darin, die vielfältigen Bevölkerungsgruppen und ihre Bedürfnisse wahrzunehmen, sie in die Gestaltung des Lebensraums Stadt zu integrieren, ihnen Raum zu geben und die zukünftige Entwicklung im Sinne der Vielfalt zu steuern.
In der Kulturkonzeption wurde empfohlen, kulturelle Veranstaltungen in die Innenstadt zu holen und niedrigschwellig zugänglich zu machen: Kunstaktionen mit Malerei im Freien, Musiksessions, Einblicke in Museen, Konzerte und Veranstaltungen, Anlaufstellen für Künstler, Bühnen für Sessions auf Plätzen, Raum für spontane Aktionen, für Spaß und Kreativität – Möglichkeiten, Ansprechpartner kennen zu lernen, sich auszutauschen,
Unser Verein Netzwerk Kultur hat die Reutlinger Kulturnacht initiiert (bis die Mittel dafür gestrichen wurden), u.a. ein Streetpiano- Projekt gestartet und die frühere Paketpost belebt, ein lebendiges Netzwerk entwickelt. In Reutlingen gibt es viele gute Künstler, Musiker, Projekte und Initiativen im Bereich Kultur – sie sind interkulturell und können zur Identifikation der Stadt beitragen, sie wirken integrativ und fördern das friedliche Zusammenleben. Es fehlen Ressourcen, Auftrittsmöglichkeiten und Ausstellungsflächen. Die lebendige Kulturszene ist bei Weitem nicht ausreichend sichtbar und unterbewertet. Auch unserem Verein fehlt ein Ort, an dem unsere Vernetzungsarbeit stattfinden kann. Kultur allein kann die Abwärtsspirale der Innenstadt nicht aufhalten, aber gemeinsam mit anderen Akteuren eine positive Wendung einleiten.
Edith Koschwitz, Netzwerk Kultur Reutlingen e.V. als Beitrag zum GEA-Leserforum im März 2024